Wittekindshof

„Menschen mit Beeinträchtigung unterstützen – das hat mich bewegt“Interview: Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke über seine Zeit als Vorstandssprecher des Wittekindshofs

Nach 18 Jahren im Dienst, verabschiedet sich Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Theologischer Vorstand und Vorstandssprecher der Diakonischen Stiftung Wittekindshof, zum Jahresende 2024 in den Ruhestand. Unter seiner Leitung hat sich der Wittekindshof in vielen Bereichen weiterentwickelt – mit neuen regionalen Wohnformen, Werkstattangeboten und weiteren neuen Angeboten.

Im Gespräch mit Melanie Backs und Axel Fründ, die die Angebote der Stiftung nutzen, blickt er auf prägende Erlebnisse zurück, teilt Einblicke in die Herausforderungen seiner Arbeit und erzählt von seinen Plänen für den Ruhestand.

Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke (63) trat am 1. September 2006 seinen Dienst als Theologischer Vorstand und Vorstandssprecher der Diakonischen Stiftung Wittekindshofs an. Zuvor war er in den von Bodelschwinghschen Stiftungen Pastor der Diakonischen Gemeinschaft Nazareth und Geschäftsführer der Evangelischen Bildungsstätte für Diakonie und Gemeinde in Bethel. Geboren wurde er 1961 in Porta Westfalica-Kleinenbremen. Gemeinsam mit seiner Frau, Pfarrerin i.R. Anke Starnitzke, lebt er in Bünde.

Melanie Backs: Was macht ein Vorstand eigentlich? Haben Sie das meiste Sagen im Wittekindshof?
Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke: Ich trage die Hauptverantwortung, gemeinsam mit meinem Kollegen Marco Mohrmann. Als zweiköpfiger Vorstand haben wir die letztendliche Verantwortung für alles, was im Wittekindshof geschieht – und das ist schon viel. Der Wittekindshof ist eine große Stiftung: 3800 Mitarbeitende und mehrere Tausend Klientinnen und Klienten. Für mich ist dabei aber die Geschäftsführungskonferenz ein genauso wichtiges Gremium. Denn für die meisten schwierigen Fragen bei der Leitung braucht man ein gutes Team, um wirklich kluge Entscheidungen treffen zu können. In diesem Team arbeiten die beiden Vorstände mit drei oder vier Geschäftsführungen ganz eng zusammen.

Axel Fründ: Was sind Ihre Hobbies?
Dierk Starnitzke: Ich arbeite gerne im Garten, reise mit meiner Frau, singe mit ihr im Chor, und wir besuchen gerne Kunstausstellungen sowie Konzerte. Außerdem unterrichte ich als Professor am Institut für Diakonie der Universität Bielefeld. In diesem Zusammenhang schreibe ich auch wissenschaftliche Texte. Bis jetzt habe ich sechs Bücher veröffentlicht und plane, in Zukunft weitere zu schreiben.

Axel Fründ: Sie sind ja viel unterwegs. Was hören Sie im Auto gerne für Musik?
Dierk Starnitzke: Ich höre fast immer WDR 4, weil ich die Musik aus den 80er-Jahren so toll finde. Michael Jackson, Prince und Whitney Houston, die finde ich richtig gut.

Axel Fründ (57) lebt seit fast 50 Jahren auf dem Wittekindshofer Gründungsgelände. Er hat einen ausgelagerten Arbeitsplatz in der Eingangskommunikation der Stiftung und ist Mitglied in mehreren Gremien, darunter der Behindertenbeirat von Bad Oeynhausen und des Kreises Minden-Lübbecke sowie im Gesamtwerkstattrat der Wittekindshofer Werkstätten in Ostwestfalen.

Melanie Backs: Wie hat Ihnen die Arbeit gefallen? Was hat Ihnen besonders Spaß gemacht?
Dierk Starnitzke:
Es ist eine schöne und wichtige Arbeit, Menschen mit Beeinträchtigung zu unterstützen. Das hat mich immer bewegt. Ich glaube, der Wittekindshof hat sich in meiner Amtszeit sehr verändert. Besonders viel Freude hat es mir gemacht, die Angebote für die Menschen zu verbessern. Außerdem habe ich die direkte Arbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, etwa in den Gottesdiensten, sehr geschätzt.

Melanie Backs: Gab es einen Lieblingsgottesdienst?
Dierk Starnitzke: Die Gottesdienste zu Jahres- und Dorffesten im großen Festzelt bleiben mir besonders in Erinnerung. Sie waren immer sehr festlich und gut besucht. Und da haben wir dann, finde ich, ganz tolle Sachen machen können, auch zusammen mit Bewohnerinnen und Bewohnern. Da waren ganz tolle Chöre dabei.

Axel Fründ: Was hat Ihnen an Ihrer Arbeit nicht gefallen?
Dierk Starnitzke: Mich stört gewaltig, dass oft über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg entschieden wird. Politiker, Ministerien, Kostenträger und andere machen sich viele Gedanken, doch sie fragen die Menschen, die es betrifft, viel zu selten um ihre Meinung.

Melanie Backs: Was ist Ihre Meinung zu Werkstätten? Wie sehen Sie die Diskussion um eine Abschaffung der Werkstätten?
Dierk Starnitzke: Wir sind ein gutes Beispiel dafür, dass in den Werkstätten auch ganz wichtige und wertvolle Arbeit geleistet wird – auch für die Wirtschaft. Es ist aber nicht nur die Arbeit. Werkstätten bieten ein soziales Umfeld, einen geregelten Tagesablauf und vor allem Arbeitskolleginnen und -kollegen. In den Wittekindshofer Werkstätten ist besonders, dass fast zwei Drittel der Beschäftigten schwerst- und mehrfach beeinträchtigt sind – das ist im Vergleich zu anderen Trägern deutlich mehr. Angesichts dessen halte ich es für falsch, die Werkstätten abzuschaffen. Sie erfüllen eine wichtige Funktion und schaffen für viele Menschen Möglichkeiten zu arbeiten, die sie sonst nicht hätten.

Axel Fründ: Was hat sich in Ihrer Zeit im Wittekindshof verändert?
Dierk Starnitzke:
In meiner Amtszeit hat sich enorm viel verändert. Wir haben die Werkstatt an der Sonnenbrede in Volmerdingsen vollständig modernisiert, neue Standorte wie das Gründer- und Anwendungszentrum in Espelkamp geschaffen, andere Werkstätten wie etwa in Gronau erweitert. Wir haben über 100 neue Standorte in verschiedenen Städten aufgebaut, sodass beispielsweise mehr Menschen in der Nähe ihrer Familien leben können. Gleichzeitig haben wir das ambulante Angebot massiv ausgebaut. Auch in der Bildung hat sich viel getan: Wir haben zwei neue Förderschulen gebaut, die barrierefrei und modern ausgestattet sind. Zusätzlich wurde die medizinische Versorgung verbessert, etwa durch das Medizinische Zentrum für erwachsene Menschen mit Beeinträchtigungen (MZEB) in Bethanien und ein neues Gesundheitszentrum in Volmerdingsen, das aktuell entsteht. Manchmal frage ich mich, wie wir das eigentlich alles schaffen konnten. Da haben viele Mitarbeitende unglaubliche Arbeit geleistet.

Melanie Backs (48) ist seit 32 Jahren Bewohnerin auf dem Gründungsgeländes des Wittekindshofs, wo sie lange Zeit in direkter Nachbarschaft zu Dr. Dierk Starnitzke lebte. Sie engagiert sich im Gesamtwerkstattrat der Wittekindshofer Werkstätten in Ostwestfalen und setzt sich für die Belange der Klientinnen und Klienten ein. Sie ist aktives Mitglied der Kirchengemeinde Volmerdingsen-Werste und gestaltet regelmäßig Gottesdienste in der Erlöserkirche Wittekindshof mit.

Axel Fründ: Was hätten Sie gerne noch verändert oder was hätten Sie anders gemacht?
Dierk Starnitzke: Wir haben in diesem Jahr das Gründungsgelände geöffnet: Es ist jetzt ein integratives Quartier. Ich hätte mir aber gewünscht, dass die Öffnung noch schneller vorangekommen wäre, damit mehr Menschen ohne Beeinträchtigung hier leben können.

Melanie Backs: In den letzten 18 Jahren sind viele Angebote wegfallen, beispielsweise die Verkaufsstelle, die Schusterei sowie die Korbflechterei. Warum wurden die Angebote eingestellt?
Dierk Starnitzke:
Es gab dafür zwei Hauptgründe. Erstens waren viele dieser Angebote Teil einer sogenannten Sonderwelt, die vor allem für die Bewohnerinnen und Bewohner geschaffen wurden. Unser Ziel ist jedoch, dass die Menschen, die wir unterstützen, mitten in der Gesellschaft leben und teilhaben können. Zweitens spielten wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Wir müssen das Geld, das wir von den Kostenträgern bekommen, direkt für die Unterstützung der Bewohnerinnen und Bewohner einsetzen. Die genannten Angebote haben aber hohe Verluste gemacht, die wir aus diesem Geld nicht ausgleichen wollten.

 

Axel Fründ: Welche Tipps hat Ihnen Ihr Vorgänger Horst Ritter Ihnen gegeben? Und welche Tipps geben Sie Ihrem Nachfolger Marian Zachow mit?
Dierk Starnitzke: Besondere Tipps habe ich nicht bekommen, aber ich habe von meinem Vorgänger gelernt, die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner in den Mittelpunkt zu stellen. Diesen Ansatz habe ich übernommen. Genauso wie die Pflege des Kirchlichen, als die Gottesdienste und das Theologische. Wir haben zuletzt ganz viel an der Strategie gearbeitet. Die hilft uns, den Wittekindshof weiterzuentwickeln, damit Sie und andere Menschen gut unterstützt werden. Und meinem Nachfolger würde ich raten, dass er diesen Kurs beibehält und die Strategie weiter umsetzt.

Melanie Backs: Was machen Sie im Ruhestand?            
Dierk Starnitzke: Ich möchte mehr Zeit mit meiner Familie verbringen, mit meinen Kindern und Enkeln. Meine Frau und ich planen, viel zu reisen. Eine Schiffsreise ans Nordkap ist bereits gebucht. Vielleicht fangen wir sogar wieder mit dem Tanzen an.

Axel Fründ: Kommen Sie den Wittekindshof im Ruhestand besuchen?
Dierk Starnitzke: Natürlich! Zu Festen komme ich gerne vorbei. Aber ein bisschen Abstand wird sicher auch gut tun. Der Wittekindshof ist ja nicht nur in Volmerdingsen aktiv. In Bünde, wo ich jetzt wohne, gibt es auch Angebote wie das KIZ (Kontakt und Informationszentrum) – dort werden meine Familie und ich bestimmt mal auf einen Kaffee vorbeischauen.